Management und Wissen / Vertrauen
Bereits heute macht sich bemerkbar, wie „das Digitale“ nahezu all unsere Lebensbereiche durchdringt – und teilweise schon beherrscht, mit allen Chancen und Risiken. Ein entscheidender Faktor ist hierbei unser aller Vertrauen in die Art, wie wir zukünftig mit digitalen Diensten und Gütern umgehen und sie einsetzen werden.
In der Studie „Future of Digital Trust“ [1] wurde ausgearbeitet, was Vertrauen in das Digitale in unserer digital geprägten Zukunft bedeuten wird und welche Treiber welche Trends hervorrufen werden. Dieser Beitrag stellt Hintergrund sowie Methodik der Studie vor und ergründet, was dies künftig für Informationssicherheitsverantwortliche in Unternehmen und Organisationen bedeuten könnte.
„Vertrauen in das Digitale“ mag begrifflich zunächst etwas sperrig wirken – ist aber ungemein wichtig! Bereits heute sind die Grenzen zwischen „analogen“ und „digitalen“ Welten fließend – und die Übergänge damit besonders schwer zu erfassen und zu überblicken. Im Englischen hat sich für eine solche Situation das Akronym VUCA etabliert (vgl. Abb. 1 und [2]) – als begriffliche Zusammenfassung von vier charakteristischen Eigenschaften:
Um in einer „VUCA-Welt“ bestehen zu können, braucht es ein Grundvertrauen in alle Komponenten. Wie kann dieses Vertrauen entstehen? Wodurch wird es beeinflusst? Können wir einer Zukunft, in der das Digitale in immer mehr Bereiche unseres Lebens eingreift, überhaupt trauen? Welche Trends werden unsere Zukunft prägen? Und nicht zuletzt: Welchen Einfluss haben Informationssicherheit und Cybersecurity auf das digitale Grundvertrauen?
Um Antworten auf diese Fragen zu finden, wurde für die Studie Deloittes „Future Foresight“-Methodik angewendet. Sie kommt selbstverständlich keinem Blick in die Glaskugel gleich und erhebt ebenso wenig den Anspruch, die Zukunft exakt vorherzusagen. Sie ermöglicht Akteuren und Entscheidungsträgern vielmehr, sich mit der Zukunft zu beschäftigen und sie proaktiv zu gestalten, anstatt nur zu reagieren. Hierfür gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Ansätze zur konstruktiven Auseinandersetzung mit der Zukunft, beispielsweise Horizon-Scanning, Trend- Sensing, Wildcard-Analysen, Zukunfts-Assessments Szenarioanalysen. Für die vorliegende Studie wurde ein Trend-Sensing-Ansatz gewählt, der sich aus den folgenden Schritten zusammensetzt:
Zur Fokussetzung der Studie wurde zunächst die zentrale Fragestellung definiert, um ein allgemeines Verständnis über die relevanten Faktoren und Themen zu fördern. Der erste Teil der Studie wurde demnach von der Forschungsfrage geleitet: „Welche Treiber und Trends prägen die Zukunft des Vertrauens ins Digitale in Gesellschaft und Wirtschaft zwischen heute und 2035?“ Die Leitfrage für den zweiten Teil lautete: „Wie können wir Cybersicherheit zu einem Enabler für eine nachhaltige und vertrauenswürdige digitale Transformation machen?“
Ziel war es im nächsten Schritt, eine Auswahlliste der relevantesten treibenden Kräfte zu erstellen, also von Variablen, die wahrscheinlich die Zukunft des digitalen Vertrauens beeinflussen. Hier wurde ein dreistufiger Prozess verfolgt:
Anschließend haben die Studienautoren die identifizierten treibenden Kräfte in Trends geclustert, indem ihre Zusammenhänge über die verschiedenen STEEPL-Kategorien hinweg analysiert wurden. Auf diese Weise ließen sich 15 übergreifende Trends identifizieren (siehe unten), die miteinander verknüpfte Kategorien der zugrunde liegenden Variablen darstellen.
Im letzten Schritt ging es um die Auseinandersetzung mit den zuvor identifizierten Trends, deren wesentliche Implikationen (Chancen und Herausforderungen) und Impulse für die Rolle von Cybersecurity als Enabler von digitalem Vertrauen in der Zukunft. Daraus wurden schließlich die Trendimplikationen untersucht und branchenübergreifende Cybersecurity-Zukunftsimpulse erarbeitet.
Die im dritten Schritt der Studie ermittelten und geclusterten Trends geben übergreifende Entwicklungen wider, die Einfluss auf die Zukunft des digitalen Vertrauens haben werden.
Aus dem Zusammenspiel dieser 15 Trends wurden 8 Schlüsselimplikationen entwickelt, welche die einzelnen Handlungsfelder für Stakeholder abbilden. Zudem verdeutlichen sie, welche Konsequenzen sich ergeben können, wenn ineinandergreifende Trends ihre Wirkung auf die Zukunft des Vertrauens ins Digitale entfalten.
Das Feld an Implikationen ist weit, ebenso wie die Dimensionen, in denen sie sich zeigen: Sie variieren je nach Sektor, Branche und individuellem Kontext in Fokus, Umfang, Auswirkung und Bedeutung. Strategien müssen an die jeweilige Situation angepasst werden – dennoch sind bestimmte Schlüsselimplikationen über alle Bereiche hinweg sichtbar! Sie sind der Kern des Aufbaus einer vertrauenswürdigen, digital transformierten Zukunft und der Formulierung von Cybersicherheitsstrategien, welche diese ermöglichen.
Vor dem Hintergrund der Trends Primat der digitalen Ethik, digitaler Kohäsion und der Allverfügbarkeit des Digitalen erweitert und fragmentiert sich die Verantwortung und Rechenschaftspflicht für das Digitale rapide. Akteure, die bisher nicht für digitales Vertrauen rechenschaftspflichtig waren, übernehmen nun die Verantwortung für die Sicherstellung einer vertrauenswürdigen digitalen Umgebung – einschließlich der Cybersicherheit als deren Grundvoraussetzung. Gleichzeitig weitet sich die Verantwortung auf eine Vielzahl von Akteuren innerhalb von Organisationen des privaten und öffentlichen Sektors aus. Die Förderung der digitalen Kompetenz von Rollen und Stakeholdern ist somit einer der zentralen Schlüssel für eine digital vertrauenswürdige Zukunft.
Aufbauend auf einer Kombination von Trends wie bewusster Konsum, digitaler Gesundheit und digitaler Dreamification schwappt Nachhaltigkeit aus der analogen in die digitale Sphäre über und erreicht dort mitunter neue Dimensionen. Wie in der physischen Welt geht dies auch hier weit über Umweltbelange hinaus: Digitale Nachhaltigkeit beschreibt vor allem die Notwendigkeit, ein vertrauenswürdiges digitales Ökosystem aufzubauen, das ein Gleichgewicht zwischen politischen, sozialen, wirtschaftlichen, rechtlichen, technologischen und ökologischen Belangen bildet – zum Beispiel im Hinblick auf digitale Gesundheit, Privatsphäre oder Auswirkungen des Digitalen auf Umweltressourcen der realen Welt (z. B. Bitcoin-Mining). Der Umgang mit den daraus resultierenden Kompromissen ist auch der bestimmende Faktor hin zu einer zukunftsorientierten Cybersicherheitsstrategie.
Mit der stetig wachsenden Menge an immer vielfältigeren Datentypen wandelt sich das Prinzip des Datenprimats von einem richtungsweisenden zu einem bestimmenden Prinzip digitalen Vertrauens. Weit über die rechtlichen Fragen des Datenschutzes und der Regulierung hinaus rückt Data-Governance in den Mittelpunkt – Data-Ownership wird durch die Verbindung einer Vielzahl von Trends geprägt, darunter digitale Teilhabe und Eigentümerschaft, menschliche Kommerzialisierung und Identitätsbildung. Um eine vertrauenswürdige digitale Transformation zu ermöglichen, sind diese Faktoren proaktiv in Cybersicherheitsstrategien zu berücksichtigen.
Mit dem Fortschreiten der digitalen Transformation nimmt die digitale Sphäre zunehmend Gestalt als eigenständige räumliche Einheit an, deren Abbildung durch private und öffentliche sowie zivilgesellschaftliche Akteure immer differenziertere Formen zeigt. In diesem Prozess verschwimmen die Grenzen zwischen „dem Analogen“ und „dem Digitalen“ zunehmend – zugleich manifestiert sich die Wahrnehmung des Digitalen als eigenständiger Raum. Diese Erkenntnis geht mit der Erfordernis einher, diese Entwicklung auch zu steuern. Da die Symbiose verschiedener Trends wie Over-Securitization, revolutionierte Sicherheit und digitale Selbstsicherheit diese Veränderungen beschleunigt, spielt Cybersecurity eine zentrale Rolle beim Management des Cyberraums.
Angetrieben von Trends wie Polarisierung, Hyper- Agilität und Identitätsbildung werden (Des-)Informationsverbreitung, -aufnahme, -verifizierung und -priorisierung zunehmend unkontrollierbar und noch diversifizierter. Etablierte Institutionen und Organisationen tragen zunehmend die Verantwortung, verschiedene Schattierungen der „richtigen Antwort“ zu beleuchten – das Ideal einer singulären Wahrheit ist damit überholt! Das bringt eine Vielzahl von Möglichkeiten mit sich, birgt in sich aber auch Risiken – etwa in Form von Desinformation für politische oder wirtschaftliche Zwecke. Cybersecurity- Strategien müssen hierauf eine Antwort geben.
Besonders vor dem Hintergrund der Ethik in Bezug auf das Digitale und der Kommodifizierung des Menschen stellt sich auch die Frage, inwieweit etwa Regulierung, Verbote und Strafverfolgung im Digitalen – genannt seien hier Schlagwörter wie Netzwerkdurchsetzungsgesetz, Trump-Bann oder Betrugsprävention – eine Aufgabe von Staaten, Organisationen und des Bereichs Cybersicherheit sein soll. Diese Frage sollte breit in der Öffentlichkeit diskutiert werden – gerade da sich der Begriff „Cybersicherheit“ durch bestimmte Akteure auch als reines Schlagwort missbrauchen lässt! Der jahrhundertealte Konflikt „Freiheit versus Sicherheit“ wird somit nie an Aktualität verlieren.
Das Zusammenspiel von Trends wie Hyper-Agilität, digitale Selbstsicherheit und digitale Allverfügbarkeit erfordert ein Umdenken in Sachen Methoden! Methoden und Modelle sind Werkzeuge, die sich im Einklang mit den Geschäftsmodellen weiterentwickeln müssen, um mit der exponentiellen Geschwindigkeit und Entwicklung der digitalen Transformation Schritt zu halten. Auf diesem Prinzip in der Cybersicherheit aufzubauen, ist eine Schlüsselkomponente bei der Etablierung von Strategien für digitales Vertrauen. Gleichzeitig braucht es vor dem Hintergrund einer möglichen Over-Securitization eine ausreichend strategische Planung und Koordination, bei der alle gesellschaftlichen Stakeholder gefragt sind. In zukünftigen Digitalministerien sollten diese Überlegungen „by Design“ eine entscheidende Rolle spielen.
Technologie ermöglicht es uns, weiterzukommen – das ist kein Novum, allerdings entwickelt sich das Potenzial der Technologie immer schneller. Die schiere Komplexität rasanter technologischer Entwicklungen und deren freie Verfügbarkeit auf dem Markt können aber möglicherweise auch Potenzialen im Weg stehen – angefangen bei der Beeinflussung bis hin zur sprichwörtlichen Lähmung von Beteiligten. Die Ausbalancierung von befähigendem und möglicherweise überwältigendem Potenzial von Technologie ist der Schlüssel zum Aufbau von digitalem Vertrauen.
Mit Blick auf Trends wie revolutionierter Sicherheit, digitaler Allgegenwärtigkeit und menschlicher Kommodifizierung sollte das oft unhinterfragte, aktivierende Potenzial von Technologie überdacht werden! Das ist notwendig, um eine bewusste und informierte Entscheidungsfindung über den Einsatz von Technologie als Werkzeug in der Cybersicherheit und darüber hinaus zu gewährleisten – was wiederum öffentlichen und privaten Akteuren ermöglicht, das Potenzial der Technologie besser und umfassender zu nutzen und maßgeschneiderte, intelligente und differenzierte Problemlösungsansätze zu entwickeln.
Auch im Zusammenhang mit dem Trend Dreamification zeigt sich, wie weit sich so das Handlungsfeld von Cybersecurity in tiefste und privateste persönliche Sphären ausdehnen lassen kann. Für CISOs gilt es daher, weit über heutige Security- und Privacy-by-Design-Ansätze hinauszudenken: Cybersecurity muss in allen Sphären verankert sein: und zwar Security als Ziel, nicht nur als Enabler und schon gar nicht als Verhinderer!
Trends wie digitale Allverfügbarkeit, digitales Selbstbewusstsein und digitale Kohäsion machen deutlich, dass die Interkonnektivität einen immer größeren Stellenwert einnimmt. Dabei verschiebt sich der Fokus von der Quantität der Vernetzung hin zur Qualität der daraus resultierenden Verflechtung. Die sich verändernde Form der Vernetzung zwischen Menschen und zwischen Mensch und Maschine beschleunigt diese Entwicklung.
(Digitales) Vertrauen ist eine Schlüsselkomponente, um diese Vernetzungen erfolgreich aufzubauen und zu managen – daher ist Cybersecurity ein wichtiger Gestaltungsfaktor, um diese Transformation sowohl für den privaten als auch den öffentlichen Sektor erfolgreich zu gestalten. Hier stellt sich auch die Frage, wie Cybersecurity dazu beitragen kann, Komplexität für Menschen und Organisationen zu reduzieren beziehungsweise darüber hinausgehend für den digital selbstbewussten Menschen zum Qualitätssiegel zu werden, wie es heute bei physischen Produkten der Fall ist.
Das Jahr 2035 erscheint in der täglichen operativen Auseinandersetzung der Cybersecurity zwar noch sehr weit weg. Allerdings geben die beschriebenen Trends bereits heute eine grobe Richtung vor, in welchen Bereichen man sehr bald Antworten von Security-Verantwortlichen erwarten dürfte.
Die Vielseitigkeit der identifizierten Trends und ihrer Wirkungsfelder sowie die gleichzeitig immer massivere digitale Durchdringung der Gesellschaft in allen sozialen Schichten und Altersstufen zeigen, dass „Cyber“ nach vorne auf die Agenda gehört und proaktiv gestaltet werden sollte.
Natürlich werden nicht alle Trends genauso eintreten, wie hier herausgearbeitet. Sicher dürfte aber sein, dass sich Aufgabenstellung und Betätigungsfeld der Cybersicherheit erweitern werden. Man wird sich mit Fragen beschäftigen, welche Themenbereiche allesamt hierunter fallen und was die Sicherheit des Digitalen auf strategischer, politischer und gesellschaftlicher Ebene in Zukunft umfassen wird.
Menschen und Unternehmen, die in der Cybersicherheit arbeiten, sollten sich in diesen Dialog mit allen anderen Stakeholdern aktiv einbringen, um nicht Getriebene einer VUCA-Umgebung zu werden – und um ihre gesellschaftliche Rolle, Kompetenz und Verantwortung proaktiv für das Vertrauen in der digitalen Zukunft einzubringen.
Peter Wirnsperger ist Partner und Leiter des Bereichs Civil Government, Cornelis Räber ist Manager im Bereich Cyber Risk bei Deloitte Deutschland.