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ISO 22361 : Grundlage für ein modernisiertes Krisenmanagement

Mit der im letzten Herbst verabschiedeten ISO 22361 liegt ein umfassender Text zum Krisenmanagement vor, der für Organisationen aller Größenordnungen gedacht ist. Die neue Norm unterscheidet zwischen Krisen- und Ereignismanagement und beschränkt sich nicht auf die Beschreibung der Aufbauorganisation – sie betont die Bedeutung der strategischen Entscheidungsfindung sowie Führung in der Krise und der persönlichen Anforderungen hierbei. Überdies liefert ISO 22361 die Grundlage für eine Prüfung des Krisenmanagements durch die interne Revision oder einen externen Auditor.

Lesezeit 14 Min.

Nach Jahren mit zumeist nur wenigen Fällen praktischer Krisenstabsarbeit haben seit dem Beginn der Corona-Pandemie und dem anschließenden Krieg in der Ukraine die Krisenstäbe oder Taskforces in sehr vielen Unternehmen in hoher Frequenz getagt – gleichzeitig nahmen Cyber-Attacken weiter zu. Manche Organisationen mussten sogar mehrere Krisen parallel bearbeiten. Durch all das haben Stabsmitarbeiter viel Erfahrung gesammelt und viele Vorgehensweisen geprägt. Nun ist die Nachbearbeitung wesentlich: Erkenntnisse müssen analysiert werden – Fehler sind ok, man sollte aber nicht versäumen, daraus zu lernen.

Der Autor konnte im Rahmen seiner Krisenmanagement-Unterstüzung in der jüngsten Vergangenheit nicht zuletzt folgende Beobachtungen machen:

  • Die Herausforderungen für das Krisenmanagement während der Ukraine-Krise sind wesentlich komplexer als während der Corona-Pandemie.
  • Ohne die vorausgegangenen Erfahrungen mit der Corona-Pandemie hätten viele die Ukraine-Krise kaum oder nicht bewältigen können.
  • Der Stellenwert des Krisenmanagements in den Unternehmen hat sich durch die aktuellen Erfahrungen wesentlich erhöht.
  • Die Bedeutung einer strukturierenden Methodik hat sich wesentlich besser durchgesetzt.
  • Die Herausforderungen des „Führens in der Krise“ sind klar von der „Führung in der Linie“ zu unterscheiden.
  • In der Arbeit der Krisenstäbe gibt es viele methodische Schwächen und regionale Unterschiede – hier kommt ein anerkannter Krisenmanagementstandard, der die methodische Vorgehensweise definiert und international vereinheitlicht, gerade richtig.

Die Betonung der neuen ISO 22361 liegt in ihrer Methodik und der grundsätzlichen Frage: „Wie geht man in einer Krise vor? Wenn ich nichts mehr habe, habe ich dann wenigstens eine Vorgehensweise? Habe ich dann wenigstens eine Grundstruktur?“ Die neue Norm ist im Februar 2023 als DIN EN ISO 22361:2023-02 auch auf Deutsch erschienen.

Hintergrund und Basis

Mit dem Inhalt dieser Norm wurde nicht bei null angefangen – vielmehr baut sie auf bestehenden und bekannten Inhalten auf. Zum Beispiel hat der Deutsche Verein des Gas- und Wasserfaches e. V. (DVGW) eine Grundstruktur für das Vorgehen im Krisenfall in der Energiewirtschaft erarbeitet und eine methodische Vorgehensweise verankert.

Weitere Vorläufer der Norm sind die BSI-Standards der „200er-Serie“ des deutschen Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), in denen es hauptsächlich um Business-Continuity geht, also um die Geschäftsfortführung bei einem Vorfall. Dabei wird in BSI 200-4 auch kurz das Thema Krisenmanagement behandelt. Zusätzliche Grundlagen sind die hilfreichen Publikationen des Kompetenz-Centers Krisenmanagement des ASW-Bundesverbands.

Ein Ausgangspunkt der ISO 22361 ist die CEN/TS 17091 „Crisis management – Guidance for developing a strategic capability“ des British Standard Institute. Der Text der neuen DIN-EN-ISO-Norm stellt eine stark überarbeitete Version dieser britischen Norm dar (die Vorgeschichte und den damaligen Status hat Kev Brear, der Obmann der zuständigen ISO-Arbeitsgruppe, in einem sehr sehenswerten Interview unter dem Titel „Crisis 2030: Are we ready?“ dargestellt).

Einen merklichen Einfluss auf die Abläufe im Krisenstab hatte zudem der fortgeschrittene Schweizer Führungsrhythmus (siehe etwa [9]), der den Deutschen weit voraus ist: Dieser Führungsrhythmus wird auf der Kompanie-Ebene der Schweizer Armee angewendet – durch das dortige Milizsystem besteht jedoch eine hohe Durchdringung des Führungsrhythmus und damit einer gut strukturierten Stabsarbeit auch in der Managementebene der Privatwirtschaft.

Gliederung und Inhalt

In der DIN EN ISO 22361 ist die typische Aufteilung moderner ISO-Normen sichtbar: Zunächst definiert Kapitel 1 „Anwendungsbereich“ den Gültigkeitsbereich. Kapitel 2 enthält die klassischen normativen Verweisungen und Kapitel 3 die „Begriffe“ und Definitionen. Darüber hinaus gilt hier auch die ISO 22300 „Security and resilience — Vocabulary“ – damit sollten häufig zu beobachtende begriffliche Verwirrungen beendet sein. In Kapitel 4 „Krisenmanagement – Kontext, Grundgedanken und Grundsätze“ werden die Kernkonzepte und Prinzipien des Krisenmanagements dargelegt. Besonders wertvoll ist hier Abschnitt 4.2 „Merkmale einer Krise“: In einer umfangreichen Tabelle über die „wesentliche[n] Merkmale von Notfällen und Krisen“ gibt es mit den sechs Kriterien „Vorhersehbarkeit“, „Beginn“, „Dringlichkeit und Druck“, „Auswirkungen“, „Einschätzung durch Öffentlichkeit, Medien und andere Interessenvertreter“ sowie „Kontrollierbarkeit durch festgelegte Pläne und Verfahren“ eine hilfreiche Unterstützung für die Abgrenzung zwischen Notfällen und Krisen – nebst erläuternden Texten zu jedem dieser Merkmale. Insgesamt behandelt Kapitel 4 das Thema Krise aus einer sehr grundsätzlichen Perspektive. Hier gibt es Überschneidungen mit der parallelen Arbeit der zuständigen Arbeitsgruppe zur ISO 22360 „Security and resilience – Crisis management – Concept, principles and framework“. Zwischen den beiden ISO Gremien laufen noch Diskussionen darüber, wie man die Inhalte der ISO 22360 gestalten kann, um Widersprüche oder Mehrfacharbeit auszuschließen. Der eigentliche operative Teil zum Krisenmanagement ist in den Kapiteln 5 bis 9 enthalten. Kapitel 5 beschreibt den „Aufbau einer Fähigkeit zum Krisenmanagement“: Hier sind in Abschnitt 5.2 die „Elemente des
Krisenmanagements“ aufgeführt, Abschnitt 5.3 behandelt den „Krisenmanagement-Prozess“. Im Besonderen liefert 5.3.4.5 „Zusammensetzung und Verantwortlichkeiten des Krisenstabs (KS)“ eine Beschreibung der verschiedenen Funktionen im Krisenstab, von der „Leitung“ bis zur Funktion „Recht“ – dort findet man auch die „Administrative Unterstützung“, die gleichfalls „Lagezentrum“ oder „Assistenzteam“ genannt wird. Für die eigentliche Arbeit des Krisenstabs (d.h. die operative Vorgehensweise der Stabsarbeit) ist Abschnitt 5.3.5 „Reaktion“ von zentraler Bedeutung: Die Kernanforderung an die Vorgehensweise eines Krisenstabs im Ereignisfall ist es, sich nicht von der Dynamik der Situation in spontane Reaktionen treiben zu lassen, sondern den Prozess so zu gestalten, dass es möglich wird, aus der Reaktion zur eigenen Aktion zu gelangen. Diese Beherrschung erfordert einen systematischen Prozess, der auf der Basis einer klaren Analyse der gegebenen Situation mit Informationsbeschaffung und Sofortmaßnahmen – gerade in der Anfangs- oder Chaosphase – die notwendige Grundlage schafft.

Tabelle 1

Tabelle 1: Erläuterungen zu den Stufen des Krisenmanagementzyklus

Krisenmanagementzyklus

Die grundsätzliche Anforderung besteht darin, im Ereignisfall die Arbeit des Krisenstabs zu steuern und ihm einen ablauftechnischen Rahmen zu geben. In einer Situation, in der der Stab zunächst keine konkrete Lösung hat, sollen in hilfreichen Schritten die erforderlichen Einzelaufgaben durchlaufen werden, welche die Basis einer geregelten Stabsarbeit bilden. Die grundlegenden Anforderungen an die Reaktion werden im sogenannten Krisenmanagementzyklus beschrieben, der in Abbildung 1 dargestellt ist, welche die entsprechende Darstellung der ISO 22361 um die Stufen 1 „Alarmierung“ und 8 „Wiederherstellung / Abschluss Stabsarbeit“ ergänzt. Tabelle 1 liefert weitere Erläuterungen zu den einzelnen Stufen.

Abbildung 1

Abbildung 1: Krisenmanagementzyklus

Persönliche Anforderungen

Kapitel 6 beschreibt anschließend die Qualitäten, die Funktionsträger mitbringen sollten, die in einem Krisenstab tätig sind (vgl. Abb. 2). Dieses Kapitel ist ein zentrales Element in der Diskussion über diese Norm.

Abschnitt 6.1.1 der DIN EN ISO 22361 besagt: „Die Fähigkeit, in einer Krise effektiv zu führen, sollte nicht als Folge der Ernennung oder des Status einer Person vorausgesetzt oder als selbstverständlich betrachtet werden (siehe 5.2.2). Manager, die ihren Ausbildungs- und Entwicklungsbedarf überprüfen, können die Krisenmanagementfertigkeiten als nützlich betrachten … Es ist wichtig zu erkennen, dass manche Menschen nicht dazu geeignet sind, Krisensituationen zu bewältigen und das Krisenmanagement durchzusetzen, was im Rahmen ihrer Ausbildung und bei Übungen festgestellt werden kann.“

Mit den Ausführungen in Kapitel 6 „Bedeutung der Führung in Krisen“ greift die Norm einen sehr heiklen Punkt auf: Der Erfolg der Arbeit eines Stabes hängt maßgeblich davon ab, dass es der Führung gelingt, die Lösungsfindungskompetenz der gesamten „Mannschaft“ zu fördern. Welches Persönlichkeitsbild braucht jemand, der in einer Krisensituation – also einer Situation, in der er keine Lösung weiß – trotzdem sein Team zum Erfolg führen kann? Das ist wohl die wirkliche Kunst im Krisenmanagement: nicht einfach nur irgendeine Checkliste abzuarbeiten, sondern mit dem Krisenstab zu einer vernünftigen und guten Lösung zu gelangen. Anforderungen wie beispielsweise „emotionale Intelligenz“ zu stellen, sind für eine ISO-Norm schon eine große Herausforderung.

Die in Abbildung 2 dargestellten Anforderungen findet man in dieser oder ähnlicher Form auch in der Managementliteratur zur Führung in Krisen (vgl. etwa [10,11,12]). Die Behandlung dieses Themas ist stark von den Erfahrungen in der Luftfahrt geprägt: Dort hat sich gezeigt, dass autoritäre Führung durch den Flugkapitän zu einer Reihe von Unfällen geführt hat, die bei einem partizipativen Führungsverhalten hätten vermieden werden können. Die in der Luftfahrt entwickelten Vorstellungen des „Crew-Ressource-Management“ [13] ist ursprünglich eine Schulung für Luftfahrzeugbesatzungen, welche die nicht-technischen Fertigkeiten schulen und verbessern soll, um Flugunfällen aufgrund menschlichen Versagens vorzubeugen. Dabei geht es um Kooperation, situative Aufmerksamkeit, Führungsverhalten und Entscheidungsfindung sowie die zugehörige Kommunikation.

Das besondere Verdienst des Kapitels 6 über die Führung in Krisen besteht darin, dass hier Vorgehensweisen und Anforderungen beschrieben werden, die einerseits für eine erfolgreiche Krisenbewältigung erforderlich, andererseits aber von der klassischen Führung in der Linie zu unterscheiden sind. Eine kritische Reflexion des eigenen Verhaltens in ähnlichen Situationen kann zur Erkenntnis führen, dass man selbst (und das gilt auch für den Autor) den dort gestellten Anforderungen nicht immer gerecht wurde. Der Text der Norm setzt hier einen hohen Maßstab. So verlangt etwa Abschnitt 6.1.1 (4): „Die Führung benötigt exzellente zwischenmenschliche Fertigkeiten wie Konsensbildung, Teamarbeit, Flexibilität, Kommunikation und die Fähigkeit, innerhalb der bestehenden Zeitvorgaben Optionen zu finden. Führungskräfte müssen mit den Unsicherheiten, die Krisen mit sich bringen, umgehen können und in der Lage sein, eine Organisation kohärent durch sehr verworrene Situationen zu führen.“

Entscheidungsfindung, Kommunikation und „Lessons Learned“

In Kapitel 7 beschreibt die Norm die strategische Entscheidungsfindung im Krisenfall. Sie wiederholt hier vor allem in einer Abbildung zur „Strategische[n] Entscheidungsfindung in der Krise“ die sechs Elemente aus Kapitel 5.3.5 „Reaktion“. Hier sei kritisch angemerkt, dass diese Abbildung besser in das Kapitel 5.3.5 passen würde (das wurde während der Verhandlungen der ISO-Arbeitsgruppe auch angeregt, letztendlich aber verworfen). Der besondere Wert von Kapitel 7 liegt in der deutlichen Betonung der Schwierigkeiten der Entscheidungsfindung: Dabei werden nicht nur die Faktoren benannt, „warum Entscheidungsfindung herausfordernd sein kann“, sondern es werden auch die „Dilemmata“ (7.3), „Probleme bei der Entscheidungsfindung“ (7.4) und „Effektive Entscheidungsfindung“ (7.5) angeführt. Damit soll erreicht werden, dass „die Organisation die Entscheidungsträger für die Herausforderungen sensibilisieren [sollte], denen sie gegenüberstehen, sowie für die Instrumente und Techniken, die ihnen zur Verfügung stehen, um mit der Unsicherheit umzugehen und das Potenzial für individuelle oder kollektive Entscheidungsfehler zu verringern.“

Der aufgezeigte Ablauf bestätigt die Vorgaben der verschiedenen bisher vorhandenen Vorgehensweisen. Es ist zu erwarten, dass die Verankerung dieser Vorgehensweise in einer ISO-Norm auch auf internationaler Ebene die Diskussionen darüber beenden wird, dass eine solche Vorgehensweise definiert werden sollte.

Der Krisenstab ist ein Organ, das in einer unklaren Situation eine strategische Entscheidung treffen muss – und das meist auf der Basis von unvollständigen Informationen. Überraschenderweise sind die Entscheidungen, die ein Krisenstab auf einer geringen Informationsbasis trifft, oft besser als das stundenlange Warten auf ausstehende Informationen. Das Element der Intuition spielt in solchen Situationen eine nicht zu unterschätzende Rolle.

Das Thema des Kapitels 8 „Krisenkommunikation“ ist – nicht überraschend – ebenfalls sehr wichtig: Die Ausführungen in der neuen ISO-Norm sind dazu als State of the Art zu verstehen, sie sind aber im Vergleich zu den restlichen Inhalten wenig progressiv. Grundlegend ist die Kernaussage in Abschnitt 8.1: „Effektive Kommunikation ist eine Schlüsselkomponente für erfolgreiches Krisenmanagement und ein wesentlicher Bestandteil der Reaktion der Organisation auf Krisen. Sie umfasst die interne und die externe Kommunikation, die zur Unterstützung der Krisenmanagementfunktion entwickelt und verwendet wird. Krisenkommunikation positioniert die Organisation als zentrale Informationsquelle, vermittelt, dass sie die Situation unter Kontrolle hat, und gibt den Beteiligten Sicherheit.“ In Kapitel 9 geht es abschließend um „Schulung, Validierung und Lernen aus Krisen“. Hier zeigt sich der klassische Deming-Zyklus (Plan – Do – Check – Act, PDCA), angelehnt an die Grundstrukturen der modernen ISO-Normen.

Abbildung 2

Abbildung 2: Wünschenswerte Fähigkeiten von Funktionsträgern im Krisenmanagement

Bewertung

Zusammenfassend zeigt sich, dass die DIN EN ISO 22361 einen umfassenden Text zum Thema Krisenmanagement darstellt, der auf einer bewährten britischen Norm basiert und deren Forderungen für Organisationen aller Größenordnungen anwendbar sind. Es ist zu wünschen, dass diese Norm weitverbreitete Akzeptanz findet – das wird jedoch wahrscheinlich nicht ohne Friktionen ablaufen: Denn die neue Norm lenkt den Fokus der Betrachtung weg von der Frage der Aufbauorganisation hin zur Ablauforganisation. In seiner Beratungspraxis erlebt der Autor häufiger, dass interne hierarchische Diskussionen die Einführung oder Verbesserung eines Krisenmanagement-Systems erschweren. In der aktuellen Situation, die durch die Erfahrungen mit der Stabsarbeit während der Corona-, der anschließenden Lieferketten- und schließlich der Ukrainekrise geprägt ist, haben sich vielfach die praktischen Erfahrungen mit der methodenorientierten Stabsarbeit durchgesetzt. Dabei haben sich gute Führungsstrukturen als besonders erfolgreich erwiesen. Durch die neue DIN EN ISO 22361 wird die Bedeutung der Führung in der Krise und der persönlichen Anforderungen ebenfalls stark hervorgehoben – auch die Bedeutung der strategischen Entscheidungsfindung in der Krise wird hier betont. Die niedergelegten Grundsätze der Entscheidungsfindung korrespondieren stark mit dem Führungsrhythmus, wie man ihn in der Schweiz kennt (siehe oben und [9]). Die neue Norm lässt aber auch noch Handlungsfelder offen: Eine besondere Stärke des Krisenmanagements ist die Verwendung einer geordneten, stringenten und klaren Vorgehensweise in einer unbekannten und Sehr stark fordernden Situation. Der Aspekt der „Lösungsfindung in einer unbekannten Situation“ ist in der Norm zwar angedeutet, ließe sich aber bei den Herausforderungen noch stärker herausarbeiten.

In den Krisen der jüngsten Zeit haben Unternehmen viel Erfahrung mit der digitalen Krisenstabsarbeit sammeln können. Die modernen Anforderungen an ein digitales Krisenmanagement beziehungsweise einen Remote-Betrieb berücksichtigt die neue Norm bisher aber nicht – sie sollten bei der Weiterentwicklung der Norm aufgenommen werden. Es sollte dann beleuchtet werden, welche Möglichkeiten und Schwierigkeiten sich aus der Digitalisierung des Krisenmanagements ergeben.

Eine weitere Herausforderung besteht in der Internationalisierung des Krisenmanagements: Es sind noch Regeln dafür festzulegen, wie die Kollaboration an mehreren (internationalen) Standorten erfolgen soll: Was ist lokal zu regeln oder zentral zu koordinieren? Gibt es dafür Vorgehensweisen – und wie kann man diese definieren?

Ausblick

In der Arbeitsgruppe „Krisenmanagement“ der Risk Management & Rating Association e. V. (https://rma-ev.org) wird aktuell ein Leitfaden zur Umsetzung der ISO 22361 erstellt. In diesem Kompendium werden die praktischen Anforderungen der einzelnen Abschnitte in drei Abstufungen aufgeschlüsselt (Grundanforderungen, mittlere bzw. erhöhte Anforderungen). Zur Revision ließe sich dann die aktuelle Situation in einer Organisation an der Norm spiegeln. Da es bei einer Bewertung nicht nur Schwarz oder Weiß gibt, hat sich die RMA-AG aus dem Bereich der Informationssicherheit die Technik der Reifegradanalyse herausgegriffen: So kann man für jede Anforderung auch einen Reifegrad definieren.

Für die Zukunft ist damit zu rechnen, dass sich Krisenmanagementsysteme an den Anforderungen der DIN EN ISO 22361:2023-02 ausrichten werden. Die Erfahrungen mit aktuellen Krisen in den heutigen stürmischen Zeiten bilden die Grundlage dafür, dass sich die in der Norm geforderte Führungsmethodik durchsetzen und sie durch die Niederlegung in geeigneten Handbüchern auch in angemessener Weise unterstützt werden wird.

Moderne Krisenmanagement-Tools werden die Möglichkeiten der Digitalisierung über Alarmierungslösungen hinaus nutzen und in einem „Verbund der Systeme“ verknüpft werden. Dies schafft die Grundlage dafür, um mit einem modernen Krisenmanagement den enormen Herausforderungen gerecht werden zu können.

Schließlich bietet die neue Norm DIN EN ISO 22361 die Möglichkeit, den Umsetzungsgrad seiner Anforderungen an einem international anerkannten Standard messen und auditieren zu können. Die Diskussion mit dem Argument „Wir haben doch alles?!“ könnte damit letztlich beendet werden.

Dr. jur. Klaus Bockslaff LL.M. (Ind.) ist Risiko- und Krisenmanager sowie Geschäftsführer der Verismo GmbH, Küsnacht und Verismo Consulting GmbH, Mannheim. Er nahm als „benannter Experte“ der SNV (Schweizer Normen-Vereinigung) an den Verhandlungen der ISO zur Entwicklung der neuen Norm zum Krisenmanagement DIN ISO 22361 teil. Zudem leitet er den Arbeitskreis Krisenmanagement der Risk Management & Rating Association e. V. (RMA).

Literatur

Literatur
[1] International Organization for Standardization (ISO), Security and resilience — Crisis management — Guidelines, ISO 22361:2022, Oktober 2022, www.iso.org/ standard/50267.html, dt. Ausgabe siehe [2]
[2] Deutsches Institut für Normung e. V. (DIN), Sicherheit und Resilienz – Krisenmanagement – Leitlinien (ISO 22361:2022); Deutsche Fassung EN ISO 22361:2022, www.din.de/de/mitwirken/normenausschuesse/fnfw/veroeffentlichungen/wdc beuth:din21:357117954, erhältlich via www.beuth.de/de/norm/din-en-iso22361/357117954
[3] DVGW Deutscher Verein des Gas- und Wasserfaches e. V., Sicherheit in der Trinkwasserversorgung – Risikound Krisenmanagement, Merkblatt W 1001, November 2020, www.dvgw-regelwerk.de/plus/#technische-regel/dvgw-merkblatt-w-1001/69b31b (kostenpflichtig)
[4] DVGW Deutscher Verein des Gas- und Wasserfaches e. V., Sicherheit in der Gasversorgung; Organisation und Management im Krisenfall, Arbeitsblatt DVGW G 1002
(A), Entwurf, August 2022, www.dvgw-regelwerk.de/ plus/#technische-regel//098b5f (kostenpflichtig)
[5] VDE Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik e. V., Krisenmanagement, Portalseite, März 2022, www.vde.com/de/fnn/arbeitsgebiete/netzbetriebsicherheit/netzbetrieb/hinweis-risiko-krisenmanagement
[6] Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), BSI-Standards, www.bsi.bund.de/DE/Themen/Unternehmen-und-Organisationen/Standards-undZertifizierung/IT-Grundschutz/BSI-Standards/bsi-standards_node.html
[7] ASW Bundesverband – Allianz für Sicherheit in der Wirtschaft e. V., Krisenmanagement – Leitblätter & Leitfäden, Portalseite, www.asw-bundesverband.de/kompetenzen/krisenmanagement/
[8] Geneva Centre for Security Policy (GCSP), Crisis 2030: Are we ready? – Interview with Kev Brear, September 2020, www.gcsp.ch/digital-hub/crisis-2030-are-we-readymr-kev-brear
[9] Schweizerische Eidgenossenschaft – Bundesamt für Bevölkerungsschutz BABS, Handbuch Führungsunterstützung, Januar 2022, www.babs.admin.ch/de/publikservice/downloads/ausb.html (Menüpunkt „Zivilschutz/Führungsunterstützung“)
[10] Laurent F. Carrel, Leadership in Krisen, Ein Leitfaden für die Praxis, Gabler Springer, September 2010, ISBN 978-3-8349-2622-7
[11] Rolf Wunderer, Führung und Zusammenarbeit, Eine unternehmerische Führungslehre, Luchterhand, 9. Auflage, September 2011, ISBN 978-3-472-08062-6
[12] Margot Morrell, Stephanie Capparell, Shackletons Führungskunst, Was Manager von dem großen Polarforscher lernen können, Rowohlt, 15. Auflage, Mai 2003, ISBN 978-3-499-61548-1
[13] Barbara Kanki, Jose Anca, Thomas Chidester, Crew Resource Management, Elsevier, 3. Auflage, Januar 2019, ISBN 978-0-12-812995-1

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