09. Aug. 2017

"Bundestrojaner": Auch TeleTrusT kündigt Verfassungsbeschwerde an


Mit dem "Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens" hat der Deutsche Bundestag Strafermittlern neue technische Möglichkeiten eingeräumt, um verschlüsselte Kommunikation von Verdächtigen in deren Notebooks und Smartphones mitzulesen und diese unbemerkt zu durchsuchen. Damit wurden die Rechtsgrundlagen für die so genannte Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ) und Online-Durchsuchung erweitert und Grundrechte in Bezug auf das Fernmeldegeheimnis eingeschränkt. Der Bundesverband IT-Sicherheit e. V. (TeleTrusT) hat heute angekündigt, gegen diese "legalisierte Schwächung von modernen IT-Systemen" Verfassungsbeschwerde einzulegen: Denn anstatt die Bürgerinnen und Bürger aktiv vor IT-Schwachstellen zu schützen, toleriere sie der Staat und halte sie für einen potenziellen Einsatz eines "Bundestrojaners" womöglich sogar aufrecht, argumentiert der Verband.

Mit der gesetzlichen Einsatzerlaubnis für Spionagesoftware soll aus staatlicher Sicht der Tatsache Rechnung getragen werden, dass Straftäter über verschlüsselte Messenger-Dienste miteinander kommunizieren. Bei der Quellen-TKÜ werden Nachrichten dann in IT-Systemen des Absenders bereits abgefangen, bevor sie verschlüsselt werden. Die Online-Durchsuchung erlaubt es hingegen, unbemerkt aus der Ferne das Endgerät eines Verdächtigen nach Hinweisen auf Straftaten zu untersuchen. Für die Zulassung gelten nach dem neuen Gesetz vergleichbar strenge Voraussetzungen wie für die schon jetzt unter Richtervorbehalt erlaubte akustische Wohnraumüberwachung. Im Gesetz ist jedoch in allgemeiner Form davon die Rede, dass "mit technischen Mitteln in informationstechnische Systeme eingegriffen wird".

Der TeleTrusT-Vorsitzende Prof. Norbert Pohlmann betont: "Der Staat hat die Pflicht, Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Durch die gezielte Offenhaltung und Nutzung von Sicherheitslücken wird diese Schutzpflicht missachtet und das Vertrauen in moderne IT-Systeme staatlich untergraben. Dadurch wird die notwendige Digitalisierung nachhaltig verhindert." Die vorgesehenen Maßnahmen führten dazu, dass das Vertrauen in moderne IT-Systeme im Allgemeinen und in die angebotenen vertrauenswürdigen Lösungen erschüttert werde. Sie seien damit industriepolitisch kontraproduktiv und schädigend für den weiteren notwendigen Digitalisierungsprozess.

Die geschaffenen Möglichkeiten sieht der TeleTrusT im Widerspruch zur politischen Zielsetzung, "Deutschland zum Verschlüsselungsstandort Nr. 1" zu entwickeln. Die Eignung zur Verbrechensaufklärung sei überdies fragwürdig, weil Straftäter beispielsweise auf andere Kommunikationsmöglichkeiten ausweichen könnten. Die Beeinträchtigung des Grundvertrauens der Öffentlichkeit in den Schutz der kommunikativen Privatsphäre stehe daher "in keinem vernünftigen Verhältnis zur möglichen Ausbeute bei Strafverfolgungsmaßnahmen". Darüber hinaus treffe die beschlossene Gesetzgebung "das verbandspolitische Selbstverständnis von TeleTrusT im Kern": TeleTrusT stehe konsequent für Vertrauenswürdigkeit von IT-Systemen ein und könne "nicht tatenlos zusehen, wenn der Gesetzgeber konterkarierende Maßnahmen beschließt, die unsere digitale Zukunft schwächen".

Der TeleTrusT – Bundesverband IT-Sicherheit e. V. wolle daher nach Konsultation seiner Mitglieder Verfassungsbeschwerde erheben. Bereits zuvor hatten die Bürger- und Grundrechts-Organisationen GFF – Gesellschaft für Freiheitsrechte e. V. sowie Digitalcourage e. V. (vormals: FoeBuD) den Gang nach Karlsruhe angekündigt – über https://aktion.digitalcourage.de/staatstrojaner-stoppen können Interessierte die Verfassungsbeschwerde von Digitalcourage mitzeichnen, um ihr ein erhöhtes politisches Gewicht zu verleihen.